15.01.2015Programmatic Marketing - Big Bang oder Big Bla?
Was verbirgt sich hinter dem Buzzword?
Programmatic Marketing steht für Online-Marketing über programmgestützte, automatisierte Kampagnen und Maßnahmen auf Basis getrackter Daten und Algorithmen. Wie und wo wird dieses datenbasierte Marketing eingesetzt? Und was haben die New Clues von Searls und Weinberger damit zu tun?
Programmatic Marketing ist kein neues Phänomen, sondern hat sich als Marketingfeld mit dem Web quasi mitentwickelt - wie das Unternehmen Sociomantic auch in einer schicken Infografik zusammengefasst hat (bitte klicken):
Big Data und Marketing
Das sich durch die rasante technologische Entwicklung veränderte Nutzungs- und Kaufverhalten der Konsumenten online bedingt auch eine Veränderung im Marketing-Denken: Sei dort, wo die Kunden oder Zielgruppen sind. Erkenne die Bedarfe und das Konsumverhalten deiner Zielgruppen.
Daten-Tracking und die Auswertung des Kaufprozesses und des Suchverhaltens bieten hierzu gute Chancen, weil individuelle Internet-Nutzung mit Automatisierung kombiniert wird. Den vielfältigen Anforderungen entsprechend, sammeln sich unter dem Meta-Begriff Programmatic Marketing viele verschiedene algorithmenbasierte Maßnahmen wie
- Programmatic Buying (Real Time-Bidding RTB)
- Programmatic Advertising (Real Time Advertising RTA, Retargeted Advertising, Display- und Multi-Channel-Kampagnen, Affiliate Programme, Einsatz datenbasierter Werbe-Plattformen)
- CRM Marketing (E-Mail- und Newsletter-Marketing)
- Location Based Services (LBS)
- automatisierte Produktempfehlungen und Cross-Selling
- Promoted Posts auf Facebook, Twitter & Co
- digitale TV & Video-Werbung
und und und.
Alle haben einen gemeinsamen Nenner: digitale Datenströme und eine gezielte Datenanalyse - BIG DATA. Programmatische Datensystem und Tools werten automatisiert Kunden-, Kaufs-, Nutzerverhalten aus und bündeln die Ergebnisse zur Basis für's weiterführende Marketing, Branding, für die Werbung. Und der datenbasierte Produkte- und Konsummarkt wächst und gedeiht, siehe Google Glass (gut, das hat sich den neuesten Nachrichten zufolge schon wieder erledigt), selbstfahrende Autos, Smartwatches - alles, was das "Internet of things" hergibt. "Big Data" findet zunehmend Eingang in alle Lebensbereiche - ein ungeheures Potenzial für Marketing und Werbung.
Programmatic Marketing - Big Bang
Programmatic Marketing ist in den USA bereits ein Riesenumsatzbringer, in unseren Breiten bremsen Datenschutz- und Privatsphäre-Diskussionen sowie geltende Datenschutz-Gesetze (noch) die totale Vermarktung unserer digitalen Datenspuren. Aber auch hierzulande wächst der Anteil des Online-Konsums (lStatistik Austria: 53% der Internetnutzer haben 2014 im Web eingekauft, IAB Trendmonitor: rd. 25% Mobil-Shopper) und das Interesse der Unternehmen an automatisierten und crossmedialen Werbe- und Marketingangeboten. Dass der Anteil von RTA und RTB im Marketinmix österreichischer Unternehmer noch sehr ausbaufähig ist, begründen Experten lt Werbeplanung.at mit ungenauen Datenquellen, fehlender Anbindung von Marketingagenturen an (international vernetzte) Datenmanagement- und Auktionsplattformen und grundlegend geringem Know How.
Programmatic Marketing bzw. die Kernbereiche RTA und RTB stecken in unseren Breiten also noch in den Kinderschuhen, aber mit dem stetigen Zuwachs an mobiler Internetnutzung und an der Verknüpfung der individuellen digitalen Daten über alle genutzten Medien und Geräte hinweg sehen Marketer starke Wachstumsmöglichkeiten. In Deutschland investieren vor allem große Marken und Webshop-Betreiber aus den Bereichen Mode, Shopping allgemein, Technologie, oder Reisen in Programmatic Buying und Advertising, Tendenz klar steigend (allein im Bereich Display Advertising soll der RTB-Anteil bis 2017 auf über 25% steigen). Inwieweit Programmatic Marketing auch für kleinere oder mittelständische Unternehmen sinnvoll sein kann? "Smart Data" statt "Big Data" ist in diesem Zusammenhang ein treffliches Schlagwort: nicht immer geht es um die Masse und Breite an Daten, sondern um für Unternehmensführung wie Marketingplanung relevante Daten, durch die Effizienz gesteigert oder neue Perspektiven entwickelt werden können. Display Marketing bietet hier bspw. Möglichkeiten, individuell erfolgsversprechende Kampagnen zu starten.
Unsere Datenspuren, die wir täglich online hinterlassen, sind das Futter für die Maschinen des Programmatic Marketing, der Real Time-Werbung, ein irrsinniger und weltweiter Daten-Marktplatz ist entstanden. Als Konsumenten werden wir kategorisiert, unsere Wege im Social Web getrackt und analysiert und mit gezielter Werbung und Information oft bombardiert, mit echtem Umsatzerfolg für Marketing und Wirtschaft*. Big Data ist Big Bang für das eCommerce und für Web-Marketer gilt, sich mit den Möglichkeiten des Programmatic Marketing zumindest theoretisch zu beschäftigen.
Wie sehen Sie die Zukunftschancen für das Programmatic Marketing? Wir freuen uns über Ihre Kommentare!
*Wer übrigens keine Lust hat, kostenloser Umsatzbringer zu sein oder seine Online-Daten vor dem Zugriff der Werbeindustrie zumindest teilweise bewahren will, der findet bei Saferinternet.at Tipps, um sich vor den Datensammlern zu schützen.
Persönliches Update
Nachdem ich diesen Blogbeitrag gestern mit einigem Bauchweh & mit mir recht unzufrieden online gestellt habe, kann ich nun nicht anders, als das meiner Meinung nach große wie wichtige ABER hinzuzufügen:
Die Vorrede
Searls und Weinberger (Journalisten, Denker, Forschende) haben vor wenigen Tagen eine aktualisierte Version ihres "Cluetrain Manifesto" (1999) veröffentlicht. Die "New Clues" enthalten kritische Hinweise und Gedanken zu unserer digitalisierten Realität, über die Macht des Marktplatzes Internet und die Risiken, die mit der industrialisierten Ausbeutung der enorme Daten- und Informationsmengen im Web einhergehen. Sie erinnern, dass
- das Internet Allgemeingut ist und keiner großen Firma, keiner Regierung, keiner spezifischen Organisation gehört - "The Net is of us, by us, and for us."
- das Internet keinem spezifischen Zweck gewidmet ist oder einem solchen dient - "Optimizing the Internet for one purpose de-optimizes it for all others."
- wir das Medium im Web sind, nicht das Internet an sich - "We are the ones who move messages. [...] Caring — mattering — is the motive force of the Internet."
- wir damit auch Verantwortung tragen, was sich im und wie sich das Internet insgesamt entwickelt - "No one owns that place. Everybody can use it. Anyone can improve it."
- wir das Internet als beinahe grenzenlose Möglichkeit des Miteinanders, des Austausches, der Gegenseitigkeit erkennen müssen, um es zu einem guten Ort für alle zu machen - "Being welcoming: There's a value the Net needs to learn from the best of our real world cultures.
Die "New Clues" zum Webmarketing
Die beiden Autoren beziehen klar Stellung gegen die fortschreitende Kapitalisierung, Vermarktung und Verwertung unserer Daten und zeigen auf, dass dieser Prozess auch für das Webmarketing auf lange Sicht nur eine Einbahn sein kann:
- Marketing macht Kommunikation im Web, also zwischen uns Webgestaltern, schwieriger - "Personal is human. Personalized isn't.
- Das ständige Sammeln und Verwerten unserer Daten ist keine nützliche oder notwendige Marketing-Methode, es ist schlichtweg falsch und führt zu einer Algorithmen. und Maschinengläubigkeit, deren Resultate mit der Realität oder der Persönlichkeit eines individuellen Konsumenten nichts zu tun haben - "Quit fracking our lives to extract data that's none of your business and that your machines misinterpret."
- Marketing wie Werbung müssen verstehen nd vor allem respektieren, dass jeder für sich selbst entscheidet, wann er wie zum Konsumenten werden will. - "You're welcome to join our conversation, but only if you tell us who you work for, and if you can speak for yourself and as yourself."
- Das App-basierte Web ist kein Web des individuellen Gestalten mehr, sondern ein kontrollierter Nutzerbereich. - "Web pages are about connecting. Apps are about control."
- Das monopolistische Agieren der global bekanntesten und in der technischen Struktur des Internet fix etablierten Web-Unternehmen ist gefährlich, weil sie von der Anziehungskraft des Sozialen profitieren und damit kaum Raum für Alternativen lassen - "Google, Amazon, Facebook, Apple are all in the goggles business. The biggest truth their goggles obscure: These companies want to hold us the way black holes hold light."
Mein Lieblingssatz aus dem neuen Manifest lautet "Wherever the conversation is happening, no one owes you a response, no matter how reasonable your argument or how winning your smile." Wir, die wir Anspruch auf die Freiheiten des WWW erheben, müssen uns bewusst sein oder jedenfalls werden, dass wir die tatsächlichen Gestalter dieser Freiheiten sind. Das gilt für mich als im Webmarketing beschäftigte ebenso wie als private Userin.